Samstag, 11. Februar 2012

"Kurzes" Intermezzo mit Gottesbeweisen

Ein Ausschnitt aus dem Wikipediaartikel zu Alvin Plantinga, zu welchem ich Stellung nehmen möchte:


Sein Grundgedanke ist, dass Glaube an Gott ein “proper basic belief” sein kann. „Proper basic beliefs“ sind Überzeugungen, die nicht aus anderen Überzeugungen abgeleitet werden müssen und auch nicht aus anderen Überzeugungen abgeleitet werden können. Für Überzeugungen wie „2x2=4“, „Vor meinem Haus steht ein Baum“, „Ich hatte heute morgen Corn Flakes zum Frühstück“ kann ich keine Argumente oder Beweise bringen, dennoch können diese Überzeugungen Wissen sein. Sie sind basale Überzeugungen, die von einzelnen Modulen unseres kognitiven Vermögens in einer entsprechenden Umgebung gebildet werden. Man spricht bezüglich derartiger Positionen meist von epistemischem Fundamentalismus.
Auch der Glauben an Gott bildet sich nach Plantinga meist auf basale Weise. Beim Anblick etwa des Sternenhimmels kann sich spontan die Überzeugung bilden „Gott hat diese Welt geschaffen“.
Nach Plantinga ist es genauso vernünftig, diesem Teil unseres Erkenntnisvermögens zu vertrauen, wie etwa unserer Erinnerung oder unserem logischen Denken – vorausgesetzt es gibt keine zwingenden Argumente dafür, dass eine bestimmte Überzeugung falsch ist.
Da es solche zwingenden Argumente (defeater) für Plantinga in Bezug auf den Glauben an Gott und überhaupt in Bezug auf den christlichen Glauben nicht gibt, hält er diese Glaubensüberzeugungen für rational gerechtfertigt.
Mein Hauptproblem mit dieser Argumentation besteht darin, dass Überzeugungen, mithin Wissen (in meiner Kurzdefinition "bestätigte Information"), welche durch empirische Betrachtung oder Folgerung innerhalb eines formalen Systems (z.B. der Mathematik) erlangt werden, mit dem plötzlichen, auch aus der Betrachtung entstehenden Schluss "Gott gibt es" gleichgesetzt werden. Bleiben wir zunächst einmal auf rein visueller Ebene, bei den "proper basic beliefs", beim klassischen Beispiel des Baumes. Wenn ich nun postuliere, vor meinem Haus stünde ein Baum, so bedarf dieses Postulat für mich keiner weiteren  Beweisführung, da ich ja über meine Sinne, vorrangig die Augen, den Baum aufgenommen habe, und vermittels der angesprochenen kognitiven Fähigkeiten das Objekt durch Übereinstimmung mit bestimmten Kriterien als "Baum" identifiziert habe, welcher vor meinem ebenso perzipierten und rezipierten Haus steht. Befinde ich mich nun aber in Gesellschaft anderer, meines Hauses unkundigen und von diesem entfernten, Personen, so kann ich weiterhin behaupten, dass vor meinem Haus ein Baum stünde, nur dass es dann für jene Personen einen Beweis braucht, ohne welchen sie die Aussage ebenso gut als Lüge abtun können. Den einfachsten, und vielleicht einzig richtigen Beweis kann ich nun führen, indem ich den Personen Haus und Baum zeige, woraufhin diese die gleiche Wahrnehmungskette durchlaufen werden, und folgend mein Postulat für korrekt befinden werden. Vorausgesetzt, geistige und physische Fähigkeiten sind bei allen in vergleichbarerer Weise ausgeprägt, werden diese stets zum gleichen Schluss bezüglich meiner Aussage gelangen, und zwar, sofern sie die Kritierien, anhand derer wir etwas als "Baum" bezeichnen kenne, unabhängig von weiteren politischen, religiösen oder philosophischen Ansichten. Eine Überzeugung, für die jenes gilt, möchte ich "gleichschlüssig" nennen. Jene Gleichschlüssigkeit ist ebenso ein Grundprinzip der Wissenschaftlichkeit. In einem bestimmten Versuch muss sich nach Herstellung der exakt gleichen Bedingungen auch die gleiche Beobachtung machen lassen.

 Im Falle der Cornflakes ist die Angelegenheit etwas komplizierter, da wir das Postulat schwerlich ebenso einfach beweisen können, in Retrospektive böten sich nur etwaige Bild- oder Filmaufnahmen oder die höchst unangenehme Analyse des Mageninhalts an. Stattdessen gibt es eine andere Möglichkeit, die Richtigkeit der Überzeugung zu prüfen, nämlich durch Herbeiführung der vom Aussagenden genannten Konditionen, bei welchen ihn die Überzeugung ereilte, er esse Cornflakes. Augenblicklich werden alle Probanden, gesetzt den Falle die oben genannten Voraussetzungen sind gegeben, zum gleichen Ergebnis gelangen. Ein weiterer Aspekt, neben der sich wieder zeigenden "Gleichschlüssigkeit" ist erkennbar: Die Vermittelbarkeit. Schildere ich einer beliebigen Person genau meine Situation, ohne aber explizit den "proper basic belief" zu äußern, so wird sie irgendwann zwangsläufig trotzdem diesen aus der Situation entnehmen und aussprechen können. Die Wahrnehmungskette der Aussage, bzw. das, was sie induziert hat, ist also durch Kommunikation vermittelbar und kann im Gedankenexperiment repliziert werden. Zuletzt sei noch gesagt: Ist ein Konzept gleichschlüssig, so auch vermittelbar, da die Wahrnehmungskette auch gedanklich angeleitete werden kann. Das Gleiche gilt umgekehrt.

Vielleicht sieht der geneigte Leser bereits, worauf ich hinaus will. Das dargestellte Szenario der Entstehung des Satzes "Gott hat diese Welt geschaffen" ist weder gleichschlüssig, noch replizierbar, noch vermittelbar. Ich bin der Ansicht, dass selbst bei der umfassendsten Schilderung der Situtation, der Schönheit des Sternenhimmels, der Kontemplation in der Betrachtung, die auf rein empirisch-beschreibender Ebene bleibt, keinesfalls alle schlagartig folgern werden: "Du hast die Existenz des Schöpfergottes gespürt". Ebenso wenig werden sie dies alle tun, brächte man sie selbst in die angegebene Situation. Auch wenn dort, aufgrund der Ganzheitlichkeit der Eindrücke, vielleicht mehr als sonst auf die Idee der Existenz eines Schöpfergottes kämen. Ich muss hier betonen, dass ich solche Gefühlslagen durchaus nachvollziehen, d.h. mir vorstellen kann, sie zu spüren und das die Verbindung zwischen in der Natur vorhandenem Großem, Schönen und Erhabenen zum Göttlichen eine leicht zu schlagende ist. Die Frage ist nun, ob jene Vorstellung bereits ohne ein bekanntes Konzept eines Gottes entstehen kann. Wenn ja, so zeigt dies zwar die gefühlsbegründete "Anfälligkeit" des Menschen gegenüber dem Göttlichen, nicht notwendigerweise aber dessen Existenz. Wenn nicht, so können zweierlei Einwände folgen. Der eine, nämlich dass der Mensch, wenn er sich seiner eigenen Gefühle, und, im Kant'schen Sinne, seines eigenen Verstandes bedient, nicht stets zu Gott gelangt, tangiert unsere Argumentation nicht; wohingegen der andere, nämlich dass gleichsam von Baum, Gott und Cornflakes ein Konzept notwendig ist, von großer Bedeutsamkeit ist und widerlegt werden muss. Denn aus ihm könnte folgen, dass nach Kenntnis des Konzeptes, der Idee eines Göttlichen auch die zuvor besprochene Wahrnehmungskette als Resultat des gesehenen Sternenhimmels gleich verlaufen muss. Diejenigen, welche also nicht zur Überzeugung "Gott gibt es" gelangen, hätten dann lediglich keines oder ein lädiertes Bild des Göttlichen.
Der Einwand ist aus zwei Gründen falsch. Zum einen wird allein aus der großen, über die ganze Welt verstreuten Zahl der Konzepte des Göttlichen erkennbar, dass es keine "richtige" Vorstellung geben kann, oder aber dass sich alle in unterschiedlicher, anders eingefärbter Weise auf das Gleiche beziehen, mithin wie in der "Ringparabel" geschildert. Da jenes Gegenargument noch nicht ganz zureichend scheint, ist ein zweites anzubringen, was erneut von der "Vermittelbarkeit" Gebrauch macht. Denn es ist möglich einen Baum, oder eine Schüssel Cornflakes so präzise schriftlich zu beschreiben, dass jeder durch die Wahrnehmung der Beschreibung zu einem Ergebnis gelangen kann, welches von der überwältigenden Mehrheit  als ebendas gemeinte Objekt identifiziert werden wird. Dies kann, so möchte man meinen, wieder nur geschehen, so die Mehrheit die Identifikationskriterien des Objektes kennt, und folglich bloß eine Übereinstimmung feststellen kann, womit das Argument kreisen würde und nicht zeigte, dass Baum und Cornflakes immer vermittelbar sind. Stellen wir uns nun aber vor, ein gänzlich Unbedarfter, Bäumen und Cornflakes unkundiger Mensch wird mit Zeichenmaterial versehen und aufgefordert, was er sieht zu zeichnen. Seine Zeichnungen leitetet er dann an beliebig viele ebenso Unkundige weiter, die sie abzeichnen sollen. Stets kämen sie zu ähnlichen Ergebnissen. Das gleiche wäre der Fall, forderte man sie auf, das gezeichnete oder Wahrgenommene zu beschreiben. Gott jedoch, so man es wagt ihn zu zeichnen oder zu beschreiben, kann wohl kaum universell als solcher erkannt werden. Das Göttliche entzieht sich der in irgendeiner Form dem Menschen zur Verfügung stehenden Darstellungsform so weit, dass Gott nicht vollständig gleich vermittelbar ist. Und damit sind wir wieder bei Kant angelangt, der zum Schluss gelangt, dass Gott nicht durch rationale Methoden zu erfassen sei. Wir können aber nur dem Teil unseres Erkenntnisvermögens wirklich sicher trauen, von dem wir in Erfahrung bringen können, dass andere stets zu den gleichen Erkenntnissen gelangen. Andernfalls ist unsere Erkenntnis persönlich und der Konzeption unseres Geistes geschuldet, was somit zur Folge hat, dass das Objekt der Erkenntnis nicht zwangsläufig existieren muss. Es ist demzufolge nicht genauso vernünftig diesem Teil unseres Erkenntnisvermögens zu trauen, wie dem anderen, an Baum und Cornflakes erkennbaren, sondern kann sogar fahrlässig sein.

Es sollte nebenbei aus meinen Ausführungen hervor gegangen sein, dass ich auch die den "proper basic beliefs" zugeschriebene Eigenschaft

Überzeugungen, die nicht aus anderen Überzeugungen abgeleitet werden müssen und auch nicht aus anderen Überzeugungen abgeleitet werden können
für ungenau halte, denn wie man oben erkennen kann, benötige ich stets zunächst die Überzeugung, dass ein rational fassbares Objekt mit bestimmten Kriterien durch ein Wort beschrieben wird. Ich muss die Kriterien und das Wort kennen. Andernfalls könnte ich nur eine Umschreibung liefern. Falls dies in den originalen Textes des Philosophen ebenso differenziert aufgefasst wird, so ist hier nur die Ungenauigkeit des Wikipediaartikels verantwortlich.

Lange Rede, kurzer Sinn: Es besteht also ein Unterschied zwischen vermittelbaren, weil "gleichschlüssigen" Überzeugungen, und unvermittelbaren Überzeugungen, welche in gewisser Weise auch durch den Wittgenstein'schen Satz Nr. 7: "Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man schweigen" angesprochen sind. Baum und Cornflakes gehören zu ersterer, Gott zu letzterer.

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